120 Jahre Schiffbautechnische Gesellschaft

Von Karl -Heinz Hochhaus

Abbildung  1: Königlich Technische Hochschule Berlin-Charlottenburg, hier fand die erste Hauptversammlung statt (Quelle TU Berlin)

 

1. Einführung

Die Schiffbautechnische Gesellschaft e.V. (STG) wurde am 23. Mai 1899 in Berlin gegründet und die erste Hauptversammlung fand am 5. und 6. Dezember 1899 in der Aula der Königlich Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg (Abb. 1) in Anwesenheit des deutschen Kaisers statt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 2: Alfred Dietrich (Quelle STG)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Gründung und erste Hauptversammlung

 Unter den deutschen Schiffbau- und Schiffsmaschinenbauingenieuren wurde der seit langem keimende Wunsch nach einer Fachvertretung immer lebhafter, je mehr die deutsche Schiffbauindustrie an Umfang und Leistungsfähigkeit zunahm. Am 31. März 1897 wurden die für die Gründung notwendigen Vorbereitungen getroffen und am 12. Mai 1897 ein vorläufiger Arbeitsausschuss gewählt, der mit der Vereinsbildung beauftragt wurde [1].  

 

Alfred Dietrich (Abb. 2), Wirklicher Geheimer Admiralitätsrat und einflussreicher Chefkonstrukteur der Kaiserlichen Marine, wurde für die Leitung des Ausschusses gewonnen. Er konnte sich aufgrund eines schweren Leidens und dienstlicher Inanspruchnahme nicht so stark wie notwendig engagieren, wodurch die Vereinsgründung stark verzögert wurde. Im September 1898 starb er, und der vorläufige Arbeitsausschuss lud zum 19. Februar 1899 zu einer Vorversammlung im Berliner Hotel Kaiserhof ein. Einziger Tagesordnungspunkt  der Vorversammlung war es, einen Ausschuss zu wählen, der die Organisation, die Satzungen und die Geschäftsordnung erstellen sollte, um am 23. Mai 1899 die konstituierende Generalversammlung durchzuführen.

 

Es nahmen 31 vorwiegend leitende Herren von Werften, der Marine, Reedereien, Hochschulen und Germanischen Lloyd an der Vorversammlung teil. Der Geheime Regierungsrat und Professor Carl Busley übernahm den Vorsitz und schlug als Schriftführer Hugo Seidler, Schiffbauingenieur und Lehrer an der staatlichen Schiffbauschule in Hamburg, vor. Nach einer einführenden Rede von Busley zur Entwicklung des deutschen Handels, der deutschen Schifffahrt und des Schiffbaus erfolgte eine allgemeine Diskussion, in der Herr Blohm den dritten Pfingsttag als Gründungstag vorschlug. Der spätere Geschäftsführer Seidler (er blieb in diesem Amt bis 1907) notierte die Namen der einstimmig gewählten Herren für den Ausschuss: Busley, Langner, Woermann, Zimmermann und Seidler.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 3: Carl Busley (Quelle STG)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.1 Konstituierende „General-Versammlung“ der Schiffbautechnischen Gesellschaft

Im Berliner Hotel ,,Kaiserhof'' erfolgte am 23. Mai 1899 die Gründung der Schiffbautechnischen Gesellschaft auf der konstituierenden „General-Versammlung“ mit Carl Busley (Abb. 3) als Gründungs-Vorsitzenden. Als Zweck der Gesellschaft wurde der Zusammenschluss von Schiffbauern, Schiffsmaschinenbauern, Reedern, Offizieren und Ingenieuren der Handels- und Kriegsmarine und anderen, mit dem Seewesen in Verbindung stehenden Kreisen festgeschrieben, um wissenschaftliche und praktische Fragen der Schiffstechnik zu erörtern. Die Tagesordnung bestand aus den vier Punkten:

 

1.     Bericht über die bisher eingetretenden Mitglieder und die Höhe des gezeichnete    Organisationsfonds

     2.     Beratung und Beschlussfassung über die vorgelegten Satzungen

     3.     Wahl des Vorstandes

     4.     Beschlussfassung über den Tag der ersten Hauptversammlung

 

Bisher waren 432 Mitglieder eingetreten und die von Werften und Reedereien gezeichneten Beiträge des Organisationsfonds hatten die Summe von 72.000 Mark erreicht  Die Satzungen werden mit einigen Änderungen der Aufnahmebedingungen angenommen. Es wurde zwischen Mitgliedern und  Fachmitgliedern unterschieden. Mitglieder konnten Personen werden, die imstande sind, sich mit Fachleuten an Erörterungen zu beteiligen. Die Fachmitglieder sollen mindestens 28 Jahre alt und wenigstens 8 Jahre im Schiff- oder Schiffmaschinenbau tätig gewesen sein.

 

Busley wurde als Vorsitzender und als Stellvertretender für Busley wurde der Geheime Admiralitätsrat Georg Langer gewählt. Fachbeisitzer wurden der Direktor des Germanischen Lloyds, Friedrich Middendorf, der Geheime Marinebaurat Johannes Rudloff und der Werftbesitzer Kommerzienrat Gotthard Sachsenberg. Als Beisitzer aus dem Kreis der Mitglieder wurden der Werftdirektor Robert Zimmermann, der Präsident des Norddeutschen Lloyds Friedrich Achelis und der Reeder Konsul Eduard Woerman gewählt. Mit dieser Besetzung erreichte man die Berücksichtigung aller maßgeblichen Kreise aus der Kaiserlichen Marine, der Fluss- und Seeschifffahrt und den Ingenieuren aus dem Schiffbau- und Schiffsmaschinenbau.

 

Busley begründete und schlug Berlin als Ort und den 20. und 21. November als Datum für die erste Hauptversammlung vor. Die Vorschläge wurden einstimmig angenommen und Busley teilt abschließend mit, dass Seine Königliche Hoheit, der Erbgrossherzog von Oldenburg, nicht abgeneigt sei, das Ehrenpräsidium der Gesellschaft anzunehmen. Unter rauschendem  Beifall der rund 400 Mitgliedern wurde die Versammlung von Busley geschlossen und ein Telegramm an den Erbgrossherzog von Oldenburg mit der Bitte um Unterstützung gesandt. Bereits während des folgenden Essens konnte die positive Antwort bekannt gegeben werden.

 

Abbildung 4: Urkunde für den Kaiser

 

2.2 Erste ordentliche  Hauptversammlung

 Die erste ordentliche Hauptversammlung fand am 5. und 6. Dezember 1899 in der Aula der Königlich Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg (Abb. 1) in Anwesenheit des deutschen Kaisers statt, dem eine Ehrenurkunde überreicht wurde (Abb. 4). Die Versammlung begann mit dem Erscheinen des Kaisers um 10 Uhr, der Ehrenvorsitzende Friedrich August von Oldenburg hielt die Begrüßungsrede und dankte dem Kaiser für die Übernahme der  Schirmherrschaft. Anschließend hielt Busley seinen Vortrag „Die modernen U-Boote“, der mit rauschendem Beifall belohnt wurde (Abb. 5). Danach begab sich die Versammlung in den Hörsaal der Elektrotechnik, wo Professor Dr. A. Slaby seinen Vortrag „Die Anwendung der Funkentelegraphie in der Marine“ hielt. Um 12:20 verließ der Kaiser die Versammlung. Nach einer Mittagspause und dem dritten Vortrag mit dem Titel „Die Steuervorrichtungen der Seeschiffe, insbesondere der neuen großen Dampfer“ (Abb. 6 und 7) von F. L. Middendorf,  Direktor des Germanischen Lloyd, endete der erste Tag der  Hauptversammlung.

 

Der zweite Tag begann nach den Begrüßungsreden durch den Ehrenvorsitzenden und von Busley, der anschließend das Begrüßungsschreiben vom Vorstand des Vereins deutscher Ingenieure und ein Telegramm von der englischen Institution of Naval Architects  verlas. Anschließend folgten Vorträge von Marinebaurat J. Rudloff zu gepanzerten Linienschiffen (Abb. 8) und von Dr. G. Bauer  vom  Stettiner Vulcan zu Schwingungen in den Wellen von Schiffsmaschinen. Danach wurde die erste Hauptversammlung geschlossen und am Nachmittag erfolgte die Besichtigung der Werkstätten und Anlagen der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) in Berlin sowie in Oberschönweide. Abends wohnte eine größere Anzahl der Teilnehmer der Vorführung der Nernst-Lampe in den Geschäftsräumen der AEG bei.

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 9: Apparatefabrik der AEG in Berlin [1]

 

 

 

 

 

 

3. Besichtigung der AEG in Berlin und Oberschönweide

 Zur Besichtigung  wurden vier Gruppen gebildet, die jeweils eine der folgenden AEG-Einrichtungen besichtigten: Die Maschinenfabrik sowie die Apparatefabrik (Abb. 9) der AEG in Berlin, das Kabelwerk in Oberschönweide sowie die von der AEG für die Berliner Elektricitäts-Werke (BEW) errichteten Centralen Oberspree in Oberschönweide und Schiffbauerdamm in Berlin.

 

 

 

 

 

 

Abbildung 10: AEG-Maschinenfabrik,  Bohrwerk  und Aufspannplatte [1]

 

 3.1 Maschinenfabrik

Die Maschinenfabrik befand sich in der Brunnenstraße neben dem Humboldthain und hatte eine Grundfläche von rund 102.000 qm. Das Hauptgebäude bildet die Maschinenhalle mit rund 20.000 qm, die in insgesamt 14 Hallenschiffe mit 15 Meter Spannweite aufgeteilt war. In der Halle befanden sich rund 500 Werkzeugmaschinen, die im Einzelbetrieb von je einem Elektromotor angetrieben wurden. In die Halle führten drei Geleise, die von Akkumulatoren-Lokomotiven zur Versorgung mit Rohstoffen und Gussstücken und zum Abtransport fertiger Teile und Maschinen befahren wurden. Waagerechte Plandrehbänke zum Abdrehen großer Dynamogehäuse bis 11 Meter Durchmesser und Hobelmaschinen bis 6 Meter Hobellänge und eine Aufspannplatte von 108 qm (Abb. 10) waren hier aufgestellt.

 

Aus dieser Werkstatt sind zahlreiche Maschinen und Anlagen hervorgegangen wie z. B. die gesamte elektrische Einrichtung des Dampfers Kaiser Wilhelm der Große oder die erste komplette Drehstromanlage eines Schiffes für die Königin Luise.  Beides Dampfer des „Norddeutschen Lloyds“, dessen Primär-Dynamos in Abb. 11 dargestellt sind. Mit einem Tunnel von 300 m Länge steht die in der Ackerstraße befindliche 1887 errichtete Apparatefabrik (63.000 qm Werkstattfläche) mit der Maschinenfabrik in Verbindung. Der Verkehr zwischen den beiden Fabriken erfolgte durch eine elektrische Bahn.

 

Die Herstellung von Leitungs- und Isoliermaterial erfolgte anfangs in der Apparatefabrik und seit 1897 im Kabelwerk Oberspree. Im Kabelwerk Oberspree ermöglichte die schiffbare Spree und direkte Anbindung an die Staatsbahn eine gute Versorgung mit Kupfer, Blei und Guttapercha zur Isolierung sowie mit anderen Rohmaterialen. Das Kupfer wurde in Barren angeliefert und durch Auswalzen auf 6 mm Durchmesser und 30 m Länge gebracht. Auf Ziehbänken eigener Konstruktion wurden diese dann auf den gewünschten Durchmesser gezogen. Auf mächtigen rotierenden Verseilmaschinen wurden sie anschließend zu dickeren Kupferseilen  gedreht (Abb. 12). Die Isolationsmaterialien wurden aus Gummi, Guttapercha und Glimmer sowie Vulkanasbest hergestellt.

 

 

 

 Abbildung 11: Einer der Dynamos zur Stromversorgung von Kaiser Wilhelm der Große [1]

 

 

 Abbildung 12. Blick auf die Verseilmaschinen im Kabelwerk Oberspree [1]

 

3.2 Die Centralen Oberspree in Oberschönweide und am Schiffbauerdamm

 Die 1885 von der Deutsche Edison Gesellschaft für angewandte Elektricität (DEG), eine Vorgängerin der AEG, gegründeten Berliner Elektricitäts-Werke (heute Bewag) eröffneten ihren Versorgungsbetrieb 1885. Das erste als Centralstation bezeichnete Elektrizitätswerk Luisenstrasse hatte eine E- Kapazität von 3000 Glühlampen. Um 1900 gab es bereits sechs Centralstationen, die seinerzeit überwiegend mit Gleichstrom betrieben wurden. Die Kapazität betrug insgesamt 142.000 PS, dabei hatte die Centralstation am Schiffbauerdamm mit 21.000 PS die höchste Leistung. Die außen gelegenen Centralen Oberspree und Moabit erzeugten hochgespannten Drehstrom, der in den inmitten der Stadt liegenden Unterstationen in Gleichstrom gewandelt wurde.

 

In der Centrale Oberspree befanden sich zwei von Dampfmaschinen direkt angetriebenen Drehstrom-Dynamomaschinen mit einer Nennleistung von je 1000 PS (Abb. 13).  Zur Zeit der Besichtigung wurde das Werk auf 12 Drehstrom-Dynamomaschinen mit 6000 Volt, 100 Hz und einer Nennleistung von je 4000 kW bei einer Nenndrehzahl von 83 U/min ausgebaut. Die Dampfmaschinen mit dreifacher Expansion hatten vier Zylinder, jeder der beiden ND-Zylinder hatte einen Durchmesser von 1,475 m. Der HD-und MD-Zylinder arbeiteten auf eine Kurbelwelle, dann folgte die Dynamowelle und dahinter die Kurbelwelle der beiden ND-Zylinder. Bei der E-Versorgung der Stadtteile wurden die in Abb. 14 dargestellten Akkumulatoren an die Sammelschienen angeschlossen, um Stromschwankungen abzupuffern.

 

 Abbildung 13:  1000 kW-Dynamo in dem Elektrizitätswerk Berlin Luisenstrasse [1]

 

4. STG Jahrbuch

Die Vorträge und Besichtigungen wurden in dem 1990 erschienenen STG-Jahrbuch dokumentiert, das einen Umfang von 433 Seiten hatte. Neben der Mitgliederliste und den Satzungen war die Geschäftsordnung, das Protokoll der ersten ordentlichen Hauptversammlung und die Nachrufe der Toten dokumentiert. Busleys Vortrag hatte 60 Seiten und Middendorfs Ausführungen waren auf weiteren 124 Seiten abgedruckt. Außerdem wurde der Beitrag “Widerstand der Schiffe und Ermittlung der Antriebsleistungen für Schiffsmaschinen“  von Middendorf  mit umfangreichen Tabellen auf weiteren 30 Seiten abgedruckt

 Abbildung 14:  An die Sammelschienen angeschlossenem Akkumulatoren [1]

 

 

5. Die STG heute

Die STG bietet den in der Schiffs- und Meerestechnik sowie Schifffahrt arbeitenden und daran Interessierten ein Forum zur Förderung der Zusammenarbeit und zum Austausch praktischer und theoretischer Erfahrungen. Die Gesellschaft ist gemeinnützig und verfolgt ausschließlich technische und wissenschaftliche Zwecke

 

 

5. Zusammenfassung

 Im Rahmen dieses Rückblickes der vor 120 Jahren gegründeten STG wird sichtbar, dass die Gründungsphase fast zwei Jahre dauerte, dann aber eine riesige Zustimmung erfuhr. Heute nicht mehr selbstverständlich ist die Anteilnahme der höchsten Amtspersonen und von hohen Kreisen der Marine. Liest man die Mitgliederliste, dann findet man sehr viele Werftbesitzer und Reeder bzw. Vorstandsmitglieder dieser Betriebe. Die erste Hauptversammlung wird kurz beschrieben, sie dauerte zwei Tage und beinhaltete fünf Vorträge und die Besichtigung der AEG.

Die AEG-Vorgängerin Deutsche Edison Gesellschaft (DEG Abb. 15) errichtete um 1885 in Berlin Kraftwerke, deren Sammelschienen von Akkumulatoren gepuffert wurden. Im Jahr 1888 erfolgte neben einer Umstrukturierung und Erweiterung der Produktionspalette die Umfirmierung der DEG in Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, abgekürzt AEG.

 

Diese vor rund 130 Jahren getroffenen Maßnahmen werden auch wieder in Zukunft angewendet, um Stromausfälle zu vermeiden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 15: Die Deutsche Edison Gesellschaft war der Vorgänger der AEG

6. Quelle

 [1] N.N.: Jahrbuch der Schiffbautechnischen Gesellschaft, Erster Band, 1900 Berlin; Verlag von Julius Springer1900