Schleppversuchsstation des Norddeutschen Lloyd in Bremerhaven

Karl-Heinz Hochhaus

Schleppversuchsanstalten wurden errichtet, um eine Prognose der Antriebsleistung von Schiffen mit Hilfe von Modellen zu ermitteln. Die Ermittlung in der Zeit vor 1870 war schwierig und William Froude (1810-1879) hatte als erster erkannt, dass verschiedene Gesetze zur Umrechnung des Modellergeb-nisses auf die Großausführung anzuwenden sind. Mit seinen Untersuchungen fand er den richtigen Weg und konnte mit Modellversuchen den Widerstand eines Schiffes genauer und zuverlässiger bestimmen. Seine Ergebnisse beruhten auf Versuche in einem einfachen Wasserbecken in seinem Garten. Der Chefkonstrukteur der britischen Marine Edward J. Reed, war beeindruckt von den Ergebnissen und empfahl Froude, sich zur Unterstützung an die britische Marine zu wenden. Mit den Mitteln der Marine wurde dann ein Tank von knapp 60 m Länge, 11 m Breite und einer Tiefe von 3,5 m gebaut und erfolgreiche Schleppversuche durchgeführt.

 

 Bild 1: Das erste Trockendock der Werft war ein Doppeldock und entstand 1871 an der Weser neben dem Leuchtturm (Wikipedia, Foto Dr. Hochhaus)

 

 Die erste Versuchsanstalt in Deutschland entstand 1892 speziell für die Binnenschifffahrt in Übigau bei Dresden. Der Generaldirektor Ewald Bellingrath der "Deutschen Elbschiffahrtsgesellschaft Kette" hatte auf dem reedereieigenen Werftgelände eine einfache Schleppeinrichtung gebaut. Der Schleppkanal war eine nicht überbaute Wasserrinne mit einer Länge von 63 m, 7,5 m Breite und 1,2 m Tiefe. 1904 entstand in Übigau ein überdachter Neubau mit einer Schlepprinne von 88 m, 6,5 m Breite und 3,6 m Tiefe.

 

 1897 beanspruchte der Norddeutschen Lloyd (NDL) mit dem Doppelschraubendampfer "Kaiser Wilhelm der Große" einen Spitzenplatz unter den Nordatlantikreedereien. Das zu diesem Zeitpunkt größte und schnellste Schiff der Welt hatte das Blaue Band für die Atlantikquerung mit einer Durchschnittsgeschwin-digkeit von 22,3 kn gewonnen. Der NDL leistete sich für seine Flotte in Bremerhaven eine Werft mit großen Trockendocks (Doppeldock s. obige Abbildung) Der Bau der riesigen Schnelldampfer, die zum Kampf um das blaue Band für die Reedereien eine große Rolle spielten, erforderte zur Vermeidung von Fehlinvestitionen genaue Vorhersagen der Antriebsleistung. Das hatte der Bau des 1898 abgelieferten Schnelldampfers Kaiser Friedrich gezeigt, der die im Bauvertrag zugesagte Geschwindigkeit nicht erreichte und daher von dem Norddeutschen Lloyd an die Bauwerft zurückgegeben wurde.

 Bild 2: 1899, Bau des Kaiserdocks I der Lloyd Werft (Wikipedia, Foto Dr. Hochhaus)

 

 Der Schiffbaustudent Johann Schütte erhielt schon kurz vor dem Ende seines Studiums 1897 beim NDL eine Anstellung. Er hatte1899 durch Messungen in der Versuchsstation in La Spezia nachgewiesen, dass die Kaiser Friedrich die vertraglich vereinbarte Geschwindigkeit aufgrund der ungünstigen hinteren Schiffsform nicht erreichen konnte. Der NDL beauftragte ihn mit der Errichtung einer eigenen Schleppversuchsstation in Bremerhaven, um die hydrodynamisch günstigste Form für die neuen Schnellampfer des NDL zu ermitteln.Doch Lassen wir Johann Schütte selbst reden beziehungsweise schreiben. Er hat 1901 vor der Schiffbautechnischen Gesellschaft in Berlin dazu einen Vortrag gehalten und mit folgenden Worten eingeleitet:

 

Auf Veranlassung des derzeitigen Ober-Inspektors des technischen Betriebes des Norddeutschen Lloyd, Herrn Spetzler, wurden im April und Mai des Jahres 1899 einige Schnelldampfer dieser Rhederei in der Schlepp Versuchsstation der Königlichen Italienischen Marine in dem Arsenal zu Spezia auf ihre Schiffsform untersucht. Die wahrhaft überraschenden Ergebnisse dieser Versuche bestimmten dann den Norddeutschen Lloyd, in richtiger Erkenntniss der grossen Wichtigkeit, die eine solche nach Froude'schen Ideen angelegte Station für die Weiterentwicklung des Schiffbaues, speciell der Schiffsformen haben muss, zu dem Bau einer eigenen ähnlichen Anlage, wie wir sie bereits in England, Italien und Russland vorfinden, in Bremerhaven.

 

Mag es mir, als dem gegenwärtigen Leiter der Abtheilung für schiffbautechnische Versuche, wie der Norddeutsche Lloyd seine Schleppversuchsstation offlciell benannt hat, an dieser Stelle gestattet sein, meiner Direktion und Herrn Spetzler dafür den Dank auszusprechen, dass sie den Muth hatten, allen deutschen Werften und Rhedereien voran, einen solchen rein wissenschaftlichen Apparat, der mit bedeutenden Kosten verknüpft ist, ins Leben zu rufen, mag es mir hier ferner gestattet sein, der Hoffnung und dem Wunsche Ausdruck zu geben, dass der Norddeutsche Lloyd auch auf diesem rein wissenschaftlichen Gebiete von den Erfolgen begleitet sein möge, welche solche Bestrebungen verdienen.

 

Der Bau dieser Anstalt, einschliesslich aller ihrer Einrichtungen, hat vom Juni 1899 bis zum Februar 1 900, also nicht länger als acht Monate gedauert; das gesammte bebaute Areal beträgt 3124 qm. Bild 3 giebt eine Totalansicht, Bild 4 von dem Inneren der Schleppversuchsstation.

 

Bild 3: Versuchsstation

 

Folgender Text wurde übernommenn aus:

 

Norddeutsche Lloyd 50 JAHRE DER ENTWICKLUNG.1857—1907

DARGESTELLT VON Dr. PAUL NEUBAUR

 

 Für Deutschland gebührt dem Norddeutschen Lloyd das Verdienst, die erste, mit grösster Vollkommen-heit ausgestattete Schleppversuchsstation angelegt zu haben, deren überaus günstige Resultate in den neuesten Schiffsformen des Lloyd bereits zutage treten.

Die Versuchsstation befindet sich nördlich vom Kaiserdock; sie ist ein einstöckiger Fachwerkbau mit Holzverschalung von 170 m Länge und besteht aus einer langen Halle von gleicher Länge und 8 m lichter Weite, die von einem 164 m langen Schleppbassin durchzogen ist; die Breite dieses Bassins beträgt 6 m und die Wassertiefe 3,2 m. An den Seiten dieses Bassins läuft ein starkes Gleis entlang, auf dem der 6,25 m breite und 9,4 m lange Schleppwagen mit den Messinstrumenten rollt.

 

Neben dieser Halle liegen die zur Herstellung der Paraffin-Modelle erforderlichen Räume: die Formerei, Giesserei, Modelltischlerei, die mechanische Werkstatt und der Raum für die Modellschneidemaschine; ferner die Bureaus für die zum Betriebe erforderlichen Ingenieure und Zeichner. Die Gesamtkosten der Anlage haben ca. 7 Million Mark betragen.

Die Theorien, welche sich mit dem Schiffswiderstande befassen, sind sehr mannigfaltig, ebenso mannigfaltig sind die Resultate, welche sie liefern. Eins haben sie gemein, sie stimmen alle, sobald nur der passende Koeffizient gewählt ist, mit dem ihr Ergebnis multipliziert werden muss, um brauchbar zu werden.

Zweifellos ist die Froudesche Schiffswiderstandstheorie die beste dieser Theorien, da sie der Wahrheit am nächsten kommt. Ein Nachteil ist der kostspielige Apparat, mit dem sie arbeitet, ein Apparat, der nicht jedem zur Verfügung steht, nämlich eine Versuchsstation, in der die Schiffe bezw. ihre Modelle auf ihren Widerstand durch Versuche untersucht werden.

Die Versuche selbst sind sehr einfach. Nachdem den Funktionen entsprechend, die das projektierte Schiff erfüllen soll, die Wasserverdrängung des Schiffskörpers bestimmt ist, werden für dieses Deplacement mehrere Schiffe entworfen. Nach den gezeichneten Plänen schneidet eine sinnreich konstruierte Maschine Schiffsmodelle von vier bis fünf Meter Länge aus Paraffin, die den grossen Schiffen geometrisch absolut ähnliche Körper sind. Diese schwimmenden Körper werden durch ein Bassin mit Wasser gezogen. Den Widerstand gegen ihre Fortbewegung misst ein Kraftmesser oder Dynamometer, dessen Registriertrommel gleichzeitig Weg und Zeit aufzeichnet.

Wie man nun einem Gefässe, welches einen Liter fassen soll, unzählige Formen geben kann, ebenso sind für ein Schiff von z. B. 1000 cbm Wasserverdrängung unzählige Abmessungen der Länge, Breite und des Tiefganges möglich. Wenn nun auch durch die erforderliche Stabilität, durch die Untiefen der Küsten, Flüsse, Hafeneinfahrten und durch die Länge und Breite der Docks die Zahl der Abmessungen von Haus aus -wesentlich beschränkt wird, so bleiben doch noch selbst unter Berücksichtigung des soeben Erwähnten zahlreiche Schiffsformen übrig, aus denen es schwer ist, die richtige Wahl zu treffen. Eine Versuchsstation allein gibt das sichere Mittel, um von diesen Formen diejenige zu finden, welche den gestellten Bedingungen am meisten gerecht wird.

Bild 4: Das Innere mit Schleppwagen (Wikipedia, Foto Dr. Hochhaus)

Die Modelle werden aus Paraffin von 0,87 spezifischem Gewicht, das einen Schmelzpunkt von 58 bis

63 ° C hat, gegossen, nachdem sie in durchgesiebtem Ton geformt sind. Der Formkasten ist 6 m lang, 1 m breit und 0,90 m tief. Um das Paraffin nicht zu überhitzen, wird es im Wasserbade in einem von Wasserrohren durchzogenen kupfernen Kessel von 300 Liter Inhalt geschmolzen. Das Modell ist ein Hohlguss ; der Kern wird aus Spantschablonen und etwa 5 mm dicken, 30 mm breiten Holzlatten angefertigt, die mit starkem Leinen überzogen sind, welches einen dreimaligen Tonanstrich erhält.

 

Nachdem der Kern in die Tonform gesetzt ist, wird er mit Eisenballast beschwert, um während des Giessens sein Auftreiben zu verhüten. Die Wandungen der Modelle sind in der Form 35 bis 45 mm dick, etwa 10 mm stärker als die der für den Versuch fertigen Modelle. Die Zugabe von 10 mm ist für das Schneiden auf der Modellschneidemaschine erforderlich. Diese Maschine besteht im wesentlichen aus einem das Modell tragenden Wagen, mit dem ein parallel geführter, mit Rollen versehener Zeichentisch verbunden ist, auf welchen die Wasserlinienzeichnung des Modells gespannt ist, und aus zwei in Spindeln rotierenden Messern, die horizontal und vertikal verschiebbar sind. Die Horizontalverschiebung, welche durch ein Handrad bewirkt wird, folgt den Wasserlinien mittelst eines Pantographen oder Storchschnabels, so dass also die Wasserlinien direkt von der Zeichnung auf das Modell übertragen werden können.

 

Bild 5. Modell wird in den Schleppkanal gesetzt (Quelle Prof. Lehmann)

Die Kontrolle für die Richtigkeit des Modelles ist sehr einfach. Aus dem Konstruktionsplan des Schiffes ist ein gewisses Deplacement berechnet, z. B. 2700 cbm. Wenn nun das Modell im Massstab 1 : 30 entworfen ist, so muss das für den Versuch fertige Modell, also das Modell in der richtigen Schwimmlage 2700:03 = 0,1 t oder 100 kg wiegen, wenn das spezifische Gewicht des Schleppbassinwassers gleich 1 ist. Der vorgeschriebene Tiefgang wird mittelst Ballastsäckchen von bekanntem Gewicht, leinenen Säckchen mit Schrot gefüllt, herbeigeführt. Um den Widerstand des Modells im Wasser für eine Reihe von Geschwindigkeiten zu messen, führt man dasselbe unter den Schleppwagen, der sowohl die Messinstrumente für den Schiffsmodellwiderstand als auch die für die Modellschrauben Schub- und Drehkräfte trägt. Dieser Wagen wird durch zwei Gleichstrom-Nebenschlussmotore angetrieben, die ihren Strom einer Akkumulatorenbatterie von 120 Volt mittlerer Spannung und einer Kapazität von 500 Amperestunden entnehmen. Durch Schaltung der Akkumulatoren, der Widerstände und durch Parallel- und Hintereinanderschaltung der Motore sind 430 untereinander verschiedene, sonst konstante Geschwindigkeiten von 0,45 bis 4,75 m per Sekunde in Stufen von 0,01 m möglich.

Bild 6: Blick in den Schleppkanal (Quelle: Professor Lehmann)

Die Kontrolle für die Richtigkeit des Modelles ist sehr einfach. Aus dem Konstruktionsplan des Schiffes ist ein gewisses Deplacement berechnet, z. B. 2700 cbm. Wenn nun das Modell im Massstab 1 : 30 entworfen ist, so muss das für den Versuch fertige Modell, also das Modell in der richtigen Schwimmlage 2700:03 = 0,1 t oder 100 kg wiegen, wenn das spezifische Gewicht des Schleppbassinwassers gleich 1 ist. Der vorgeschriebene Tiefgang wird mittelst Ballastsäckchen von bekanntem Gewicht, leinenen Säckchen mit Schrot gefüllt, herbeigeführt. Um den Widerstand des Modells im Wasser für eine Reihe von Geschwindigkeiten zu messen, führt man dasselbe unter den Schleppwagen, der sowohl die Messinstrumente für den Schiffsmodellwiderstand als auch die für die Modellschrauben Schub- und Drehkräfte trägt. Dieser Wagen wird durch zwei Gleichstrom-Nebenschlussmotore angetrieben, die ihren Strom einer Akkumulatorenbatterie von 120 Volt mittlerer Spannung und einer Kapazität von 500 Amp^restunden entnehmen. Durch Schaltung der Akkumulatoren, der Widerstände und durch Parallel- und Hintereinanderschaltung der Motore sind 430 untereinander verschiedene, sonst konstante Geschwindigkeiten von 0,45 bis 4,75 m per Sekunde in Stufen von 0,01 m möglich. Infolge des bei der Berechnung der Schiffswiderstände aus den Modellwiderständen angewandten, von Newton gefundenen mechanischen Aehnlichkeitsgesetzes, müssen die Modelle mit korrespondierenden Geschwindigkeiten geschleppt werden, Geschwindigkeiten, die, mit der Quadratwurzel aus dem Massstab des Schiffes zum Modell multipliziert, die Schiffsgeschwindigkeiten ergeben. Wenn z. B. ermittelt werden soll, wieviel effektive Pferdestärken ein Torpedoboot bei 28 Seemeilen braucht, so muss sein Modell, wenn dieses im Massstab 1:16 hergestellt ist, mit einer korrespondierenden Geschwindigkeit von

 

*) 0,5144 ist die Umrechnungszahl von Knoten pro Stunde in Meter pro Sekunde.

 

 geschleppt werden

Bild 7: Schleppwagen und Schleppkanal bei der Einweihung (Quelle:Professor Lehmann)

 

Die ersten Versuche in der Bremerhavener Versuchsstation erfolgten an der Hinterschiffsform der großen Schnelldampfer. Hier wurde speziell der Einfluss der Wellenaustritte auf die Antriebsleistung der Zweischrauber untersucht. Dabei fand Schütte heraus, dass die Wellenhosen und Wellenböcke erhebliche zusätzliche Widerstände verursachten und die Geschwindigkeit negativ beeinflussten. Darüber hat er 1901 vor der Schiffbautechnischen Gesellschaft (STG) ausführlich berichtet.

 

Neben Versuchen für die eigene Flotte wurden an der Versuchsstation auch Messungen für die kaiserliche Marine durchgeführt, außerdem wurden Torpedoboote für F. Schichau und die Germania Werft geschleppt. 1911 wurden die riesigen Passagierschiffe der Imperator-Klasse geplant, die ersten Vierschraubenschiffe für deren Hinterschiffsform keine Erfahrungen vorlagen. Daher ließ Albert Ballin an der NDL-Schleppversuchsstation und auch an der Versuchsanstalt in Übigau Messungen durchführen.

 

Bild 7: Blick in die  den Schleppkanal der Hamburger Schiffbau Versuchsanstalt (HSVA) (Quelle Wikipedia, Foto Dr. Hochhaus)

Die Versuchsstation des NDL wurde ab 1904 von Carl Bruckhoff geleitet, da Schütte einen Ruf als Professor an der neu gegründeten Technischen Hochschule Danzig erhielt. Die Versuchsstation wurde 1914 geschlossen, sie musste einer Hafenerweiterung in Bremerhaven weichen. Ein Teil der technischen Einrichtung wurde 1915 beim Aufbau der Hamburger Schiffbau Versuchsanstalt (HSVA) verwendet, deren Leiter Carl Bruckhoff wurde.

 

Bild 8: Blick in das Modelllager der HSVA (Quelle Wikipedia, Foto Dr. Hochhaus)

Hamburgische Schiffbau Versuchsanstalt (HSVA)

 

Die Hamburgische Schiffbau Versuchsanstalt (HSVA) wurde mit Förderung von Hermann Blohm von 1913-1915 mit einem Kostenaufwand von 1,3 Millionen Mark gebaut.Das Widerstands Dynamometer des großen Schleppwagen wurde von der Bremerhavener Versuchsstation übernommen.

 

Die Leitung erfolgte bis 1922 von Karl Bruckhof. Während des Krieges wurden auch Modelle von U-Booten auf ihren Widerstand hin untersucht. Außerdem wurden mit Kriegsschiffs Modellen Widerstands-versuche auf beschränkten Wasser von unterschiedlicher Tiefe durchgeführt

Bild 9: Modellfräse in der HSVA zur Bearbeitung der Modelle (Quelle Wikipedia, Foto Dr. Hochhaus)